Weiterer Prämienschock? Spitäler wollen mehr Geld
Die Diagnose ist hart. «Nur jedes vierte Spital ist finanziell wirklich gesund», sagt Patrick Schwendener, Gesundheitsexperte beim Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) Schweiz. Auf der anderen Seite haben 20 bis 25 Prozent der Spitäler massive finanzielle Probleme, liegen quasi auf der Intensivstation. Dazwischen bewegen sich jene 50 Prozent, die es «schon irgendwie schaffen dürften». Man könnte sagen, sie sind gesundheitlich angeschlagen.
Schwendener ist Autor der jährlichen Studie, die PwC zur finanziellen Gesundheit der Spitäler durchführt. Die Zahlen zeigen: Viele haben sich letztes Jahr zwar etwas vom Corona-Schock 2020 erholt. Doch liegen ihre Kennzahlen noch immer tiefer als früher – und schon damals waren sie oft schlecht. Bereits kommt neues Ungemach auf sie zu: Teuerung, Lohnforderung, Energiekrise. Schwendener warnt: «Wenn die Personal- und Sachkosten weiter ansteigen und die Tarife auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben, wird ein Grossteil der Spitäler in Schieflage geraten.»
Ein düsteres Bild zeichnet auch Anne Bütikofer, Direktorin des Spitalverbands H+. «Die Spitäler und Kliniken gehen von Kostensteigerungen bei den Energiekosten von 40 bis teilweise sogar 300 Prozent aus», sagt sie. «Dazu kommen Kostensteigerungen bei den Materialien von 3 bis 5 Prozent, teilweise bis 20 Prozent, und bei den Lebensmitteln von rund 10 Prozent.» Und dann sind da noch die Lohnkosten: Personalverbände fordern von den Spitälern 5 Prozent mehr Lohn wegen der Teuerung – aber auch wegen der steigenden Belastung des Personals. Es bestehe «eklatanter Nachholbedarf», sagt etwa die Gewerkschaft VPOD.
45 000 Fachkräfte fehlen
Tatsächlich dürfte die Lohnerhöhung etwas geringer ausfallen, Bütikofer erwartet 3 bis 5 Prozent mehr Lohn fürs Personal. Die Spitäler befinden sich in den Lohnverhandlungen in der Defensive, weil sich der Kampf ums Personal zuspitzt. Die PwC-Studie geht davon aus, dass bis 2040 rund 40 000 Pflegende und 5500 Ärztinnen und Ärzte fehlen werden. «Wenn eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften auf ein limitiertes Angebot trifft, dann steigt der Preis», sagt Schwendener.
Das Problem der Spitäler ist: Sie können die steigenden Kosten nicht einfach auf ihre Patienten abwälzen, sondern sind an die Tarife gebunden, die sie mit den Krankenversicherungen auf Basis vergangener Kostendaten ausgehandelt haben. Laut H+ führt das dazu, dass heute schon die ambulanten Leistungen zu 30 Prozent unterfinanziert sind, die stationären zu 10 Prozent. Schwendener erwartet denn auch «strukturelle Defizite, weil sich die Kostenerhöhungen schlicht nicht mehr durch die Verbesserung von Prozessen und eine Erhöhung der Effizienz kompensieren lassen».
Darum müsse jetzt gehandelt werden, sagt Bütikofer: «Wir fordern von der Politik und den Versicherern dringliche Massnahmen in Form von Teuerungsanpassungen bei den Tarifen.» Konkret: «Es braucht Tarifanpassungen in der Grössenordnung von rund fünf Prozent.»
Mit dieser Forderung dürften die Spitäler bei den Krankenkassen in den nun laufenden Tarifverhandlungen auf Granit beissen. Schon ohne Teuerung wachsen die Gesundheitskosten Jahr für Jahr und damit die Krankenkassenprämien. Die zusätzlich geforderten fünf Prozent kämen obendrauf. «Steigende Spitaltarife würden die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler zusätzlich belasten», sagt denn auch Matthias Müller, Sprecher des Krankenkassenverbands Santésuisse. «Deshalb sehen wir flächendeckende Tariferhöhungen grundsätzlich kritisch.»
Natürlich müsse unter anderem auch die Teuerung berücksichtigt werden, sagt er. Doch: «In den letzten Jahren war die Teuerung wiederholt negativ, was zu keinen Tarifanpassungen nach unten geführt hat.» Müller weist auch darauf hin, dass viele Spitäler in den letzten Jahren Gewinne schreiben konnten, die oft den Kantonen zugutekamen.
Kantone sollen zahlen
Nationale Gesundheitspolitikerinnen von rechts bis links halten die Forderung der Spitäler zumindest teilweise für gerechtfertigt: «Für Spitäler, welche das Effizienzpotenzial ausgeschöpft haben, dürften diese externen Faktoren eine Tarifanpassung nötig machen», sagt Ruth Humbel (Mitte). Verena Herzog (SVP) spricht von unter gewissen Bedingungen «gerechtfertigten und nachvollziehbaren Forderungen».
Ähnlich sieht dies Regine Sauter (FDP): «Gerade angesichts des Personalmangels sind Massnahmen im Personalbereich unausweichlich.» Die grüne Katharina Prelicz-Huber ist grundsätzlich auch dafür, «wenn die Tariferhöhung verbunden ist mit Lohnerhöhungen beim Pflegepersonal und gleichzeitig dem Herunterholen von zu hohen Chefärzte- und Managerlöhnen». Für Humbel darf eine allfällige Tariferhöhung aber nicht zulasten der Prämienzahlenden gehen. «Die Kantone müssen Tarife genehmigen und können eine allfällige Erhöhung zulasten der Steuerzahlenden übernehmen.»
Für Schwendener ist klar: Für viele Spitäler wird es knapp bis existenzbedrohend, wenn die Tarife nicht steigen. Im Notfall müssten die privaten Eigner oder die öffentliche Hand Kapital einschiessen, um die Häuser zu retten, sagt er. «Die Frage ist, ob diese Mittel dann fliessen oder ob so der oft thematisierte Strukturwandel beschleunigt würde.»